Julia Prosel, Koloraturgesang

Meine Großmutter mütterlicherseits:

Julia Prosel, geb. Dietrich

15.12.1894 in Wien – 04.02.1982 in Penzberg

Meine Großmutter Julia stammte aus sehr armen Verhältnissen. Ihre Mutter war aus Mähren nach Wien gekommen und verdingte sich hier als Dienstmädchen. Ihre Ehe war unglücklich, und als ihr Mann sie verließ, stand sie mit ihren vier Kindern alleine da.

Mit 13 Jahren musste Julia die Schule verlassen, weil ihre Mutter eine weitere Ausbildung nicht mehr finanzieren konnte. So ging meine Großmutter zuerst in eine Pralinenfabrik als Arbeiterin, wechselte nach kurzer Zeit jedoch ins Telegraphenamt. Schon damals konnte sie wunderschön singen und sang zum Geldverdienen öfters abends in Wiener Lokalen. Eines Abends sang sie wieder dort und erzählte dies am nächsten Tag einer Kollegin am Telefon. Diese bat Julia, ihr doch etwas vorzusingen. Meine Großmutter  tat dies, und plötzlich schaltete sich eine unbekannte Frau in das Telefonat ein. Was dann passierte, klingt fast wie im Märchen: Die Unbekannte war eine wohlhabende Baronin, und sie wollte nun dieses Mädchen kennen lernen, das so schön singen kann und bestellte Julia zu sich. Als die Baronin ihre wunderschöne Stimme gehört hatte, war sie vom Talent meiner Großmutter so begeistert, dass sie ihr die Ausbildung am Konservatorium bezahlte.

Ein Ausschnitt aus der Autobiographie meiner Mutter: „… Meine Mutti Julia war nach wie vor in Wien. Auch hier trat sie in den zahlreichen Kabaretts und Brettln als Sängerin auf und gab Gesangsunterricht. Eine ihrer Schülerinnen war die ungarische Filmschauspielerin und Sängerin Marika Rökk. Diese wurde ungefähr 1948 am Wiener Bürgertheater auf einen jungen Absolventen des Max-Reinhardt-Seminars, der dort gerade sein erstes Engagement als Zweitbesetzung hatte, aufmerksam: Peter Alexander. Marika Rökk war sehr von seinem Talent überzeugt und schickte ihn zu ihrer Gesangslehrerin, wo er ein paar Unterrichtsstunden nahm, sie aber nie bezahlte. Meine Mutti war mit dem jungen Peter in dieser Beziehung nachsichtig, weil er ja noch ganz am Anfang seiner Laufbahn stand und sicher nicht viel Geld hatte. Ich glaube, sie freute sich eher darüber, dass auch sie ein wenig zu seinem Erfolg beitragen hatte können. Immerhin nahm er später das Wienerlied „Ich hab’ die schönen Maderln net erfunden“ auf, dessen Text ja von meinem Vater stammt.

1950 spielte Marika Rökk in dem Film „Kind der Donau“. Sie hatte zwar eine wunderschöne Stimme, konnte aber die ganz hohen Töne, die in manchen Liedern dieses Films von ihr verlangt wurden, nicht singen. Kurzum sprang meine Mutter ein und übernahm die hohen Stellen. Jemand, der dies nicht weiß, bemerkt die unterschiedlichen Stimmen vielleicht nicht. Wenn man aber die Stimme von Julia Prosel so gut kennt wie ich, hört man schon, dass alle hohen Sopranmelodien von ihr gesungen wurden….“

 Nachstehend singt meine Großmutter Julia Prosel. Leider sind die sehr alten Aufnahmen auf den zum Teil etwas verkratzten Schellackplatten qualitativ schlecht. Trotzdem sind wir dankbar, dass ihre herrliche Stimme festgehalten wurde.

Im ersten Hörbeispiel hört man am Schluss übrigens meinen Opa Theo Prosel.